INDEX| Lesezeichen| home | PvdL | GAU ] Enjoy [http://gau.tilianus.net/2/bilingualism.html] Version PvdL14017
Wir verbringen einen Großteil unseres Lebens damit, soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, durch kommunikative Rituale. Kommunikative Rituale sind Sprechhandlungen, die Individuen wechselseiting vollziehen, nicht um Informationen auszutauschen, sondern um einen sozialen Kontakt aufzubauen oder zu pflegen.
Sprache ist ein soziales Instrument. Kleinkinder haben recht früh das Bedürfnis, auf Gegenstände zu zeigen und sie zu benennen, bzw. einfache Handlungen zu benennen ("show and tell"). Solche frühkindlichen Äußerungen sind für Erwachsene meist schwer zu verstehen. Dies führt dazu, daß letztere ständig rückfragen müssen. Aus diesen sprachlichen Reaktionen lernen Kleinkinder. Aber Kleinkinder Benennen nicht nur, sondern stellen Vermutungen an, kommentieren ihre Umwelt kritisch. Typische Fehler, die Kleinkinder in dieser Frühphase machen, zeigen, daß sie beginnen ihre Umwelt zu verstehen. So wird beispielsweise das Wort "Hund" zunächt für alle Vierbeiner verwendet oder das Wort für "Pferd" erst für "interessante Gegenstände", dann für "schön", und dann erst für irgendwelche Tiere. Ein Kind, daß eine Sprache lernt, lernt dadurch die Welt kennen, wie sie strukturiert ist und wie sie funktioniert. Im Gegensatz dazu hat ein Erwachsener bereits eine feste Vorstellung von der Welt und versucht sie zu artikulieren. Erwachsene können bewußt ihre kognitiven Fähigkeiten einsetzen. Einer der größten Vorzüge des Bilingualismus ist es, daß bereits Kleinkinder lernen, daß die Beziehung zwischen sprachlichen Zeichen und Gegenständen keine notwendige ist. Es scheint, daß diese frühe Übung in Abstraktion ihnen zu jener geistigen Flexibilität und Offenheit verhilft, welche von Experimentatoren und Psychologen oft berichtet wird. Zwar ist in den meisten Fällen eine der beiden Sprachen in der Weise dominant, daß der Bilinguale überwiegend in dieser denkt. Die jeweils andere Sprache wird jedoch gerne zur Lösung von Problemen in der Weise genutzt, daß der Bilinguale sich von zwei Seiten dem Problem nähert. Kleinkinder erfreuen sich oft daran Laute oder später Wörter zu wiederholen. Bilingual aufwachsende Kinder scheinen ihr situationsbedingt größeres Repertoir an Lauten durcheinander zu bringen. Dieses ist jedoch ein natürlicher Prozeß, mittels dessen das Kind seine Laute sortieren lernt.
In der Zweiwortphase beginnen Kinder mit dem Aufbau grammatischer Strukturen. Die Komplexität der zu erlernenden Sprache bestimmt dabei das Tempo. Ab etwa dem fünften Lebensjahr sind die größten Hürden der Grammatik genommen. Unterschiede in der Entwicklung sind zum Teil enorm. Daraus sollten jedoch keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Manche Kinder sprechen lange Zeit überhaupt nicht, dann jedoch unmittelbar in ganzen, korrekten Sätzen. Die Unterscheidung von (eigenständiger) Sprache und Dialekt ist oft schwierig und nicht selten ein Politikum (T�rkei, China, Skandinavien). Tatsache ist jedoch, daß wir alle Dialekt sprechen und einen Akzent haben. In vielen Gegenden werden zwei Dialekte gesprochen (z.B. Bairisch und Hochdeutsch); streng genommen handelt es sich dabei um Biligualität. Sprache ist an erster Stelle gesprochene Sprache. Viele Sprachgemeinschaften kennen keine Schrift. Es gibt Bilinguale, die nur in einer der beiden Sprachen literiert sind oder in keiner. Alle sprachlichen Phänomene unterliegen dem Wandel. Phonologie, Grammatik, Semantik, Pragmatik
Nebst zeitlicher (i.e. Sprachwandel) und geographischer (i.e. Dialekt) gibt es auch situative Variation. Je nach Kontext (Bekannten oder Fremden gegenüber, Kollegen oder Vorgesetzten gegenüber, privat oder offiziell, etc.), sind wir in der Lage uns sprachlich anzupassen. Stärken und Schwächen bezüglich der einzelnen Register sind individuell. So gesehen sind wir alle Multilingual, weil wir gelernt haben, zwischen "verschiedenen Sprachen" zu unterscheiden.
Was Spracherwerb nicht ist:
Was Spracherwerb ist:
Spracherwerb daheim versus in der Schule:
Es ist zu unterscheiden zwischen (1) Menschen, welche sich zur Verfolgung ihrer selbstgesteckten, akademischen oder geschäftlichen Ziele in einem anderssprachigen Land aufhalten und dadurch gleichsam freiwillig selbst oder in der nächsten Generation einen Grad an Bilingualität erlangen, und (2) Menschen, die sich gezwungenermaßen in einer solchen Situation wiederfinden, sei es, (a) weil ihre Muttersprache nicht die Amts- oder Verkehrssprache ihres Landes ist, oder, (b) weil wirtschaftliche Not sie zwang als Gastarbeiter in einem anderssprachigen Land um ihre Existenz zu ringen. Spracherwerb ist – wie gesagt – ein Produkt von 'Motivation und Gelegenheit'. So gesehen ist es leicht verständlich, warum (1) es leichter fällt als (2) und (2a) es wiederum leichter hat als (2b) die Zweitsprache so zu erlernen, daß wir von Bilingualitä zu sprechen geneigt sind (eingedenk der oben angeführten Ansätze). Bilingualistische Gesellschaften entstehen oft, wenn verschiedene Sprachgemeinschaften aus wirtschaftlichen Gründen miteinander interagieren (z.B. USA/Mexico). In manchen Ländern herrscht Bilingualität in solchen Regionen vor, in denen Sprachminderheiten zu finden sind (z.B. Elsaß). In wieder anderen Ländern (so beispielsweise viele afrikanische Staaten) haben derart viele autochtone Sprechergemeinschaften, daß die Menschen dort zusätzlich zu ihrer Muttersprache noch eine Amts- und oft auch noch eine Verkehrssprache beherrschen müssen. Amtssprache ist dabei nicht selten die Sprache der ehemaligen Kolonialherren. Ferner gibt es noch das Phänomen der Diglossie. Damit ist gemeint, daß fast alle Menschen zwischen einer Hoch- oder Standart- und einer Umgangs- oder Alltagsvariante unterscheiden können. Der Unterschied kann so enorm sein wie beispielsweise in der Schweiz, wo bewußt am Hochdeutschen als Standartsprache festgehalten wird, obwohl die Umgangssprache so stark davon abweicht, daß sie von Nicht-Allemannen normalerweise ohne erhebliche Anstrengungen nicht verstanden wird (dieses gilt auch für arabischsprachige Länder). Auch gibt es etliche Berufsgruppen, die Mehrsprachigkeit erfordern, wie z.B. Übersetzer, Diplomaten, bestimmte IT-Fachleute, Reise- und Tourismusfachleute, Kommunikationsspezialisten, Journalisten und Sprachlehrkr�fte und andere. Schließlich galt Mehrsprachigkeit lange als Zeichen der Zugehörigkeit zur Oberschicht, so beispielsweise in England, Deutschland und Rußland. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist Mehrsprachig. Verhältnisse, wie sie in Europa herrschen, sind die Ausnahme. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß um die 6000 (sechstausend) Sprachen weltweit gesprochen werden und sich die Sprecher auf lediglich 150 (hundertf�nfzig) Länder verteilen, dann wird schnell deutlich, daß die meisten dieser Länder mehrsprachig sein müssen. Sprache ist als identitätstiftendes Moment von enormem politischen Interesse. Nicht nur in Frankreich gilt die Nationalsprache als Garant für die nationale Integrität. So galt zur Zeit der französischen Revolution sprachlicher Regionalismus oder gar dialektale Vielfalt als feudalistisch und somit unbedingt als ein Abzuschaffendes. Dessen ungeachtet kennt der Vorzeigestaat in Sachen Monolingualismus nachwievor eine Vielzahl von Minoritätensprachen: Baskisch, Bretonisch, Elsässisch, Flämisch, Katalanisch, Korsisch und Okzitanisch. Erstaunlicherweise weisen solche Staaten, die offiziell Monolingual sind, wie z.B. China, Frankreich, Indonesien und die T�rkei, weit mehr Sprachminoritäten auf als solche, wie die Schweiz, die verfassungsmäßig mehrsprachig sind. In China gibt es offiziell nur zwei Sprachen, nämlich Mandarin und Kantonesisch. Trotzdem können viele Chinesen, die angeblich die selbe Sprache sprechen, sich untereinander nur verständigen, indem sie das gemeinsam genutzte Schriftzeichen für den anderen sichtbar mit dem Finger andeutungsweise in die Handfläche "malen". Wie perfekt muß ein Sprecher zwei Sprachern jeweils beherrschen, um als bilingual gelten zu dürfen?
Die Antwort ist so klar wie unbefriedigend: "Freilich, man kann einen Grad an Perfektion nicht definieren, bei dem ein guter Fremdsprachler zum Bilingualisten wird: der Unterschied ist relativ." (L.Bloomfield, 1933) Ein häufig zu beobachtendes Phänomen ist die Dominanz einer Sprache bei Bilingualisten. Eine solche Dominanz ist jedoch keineswegs festzementiert, sondern kann, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern ( z.B. Umzug in das Land der jeweils anderen Sprache), sich dahingehend verändern, daß schließlich die andere Sprache die dominante ist. Ein weiteres, häufig zu beobachtendes Phänomen hauptsächlich der gesprochenen Sprache ist die Interferenz. Diese tritt auf allen Ebenen der Sprache zu Tage und bewirkt eine Übertragung von Eigenheiten der einen Sprache in die andere (Bsp. Lexik: "bouteilles" für Fläschchen – analog zu englisch "bottle" – statt korrekt französisch "biberons"). Rezeptiver (d.h. passiver) Lingualismus ist eine Sonderform des Bilingualismus, bei dem der Sprecher eine seiner Sprachen zwar "fließend" verstenen, jedoch nicht sprechen kann. Gründe dafür sind fehlende Motivation oder Sprachpraxis. Ein rezeptiver Bilingualist hat jedoch jederzeit die Möglichkeit, sich mit geringem Aufwand zu einem "normalen" Bilingualisten weiter zu entwickeln. Eine weitere interessante Variante ist der assymetrische Bilingualismus: Der assymetrische Bilingualist spricht eine seiner Sprachen besser, als er sie verstehen kann. Dieses macht sich regelmäßig dann bemerkbar, wenn der assymetrische Bilingualist die betreffende Sprache im Umgang mit einem sehr kleinen Personenkreis (meist nur ein Elternteil) gelernt hat und nun in ein Land reist, in dem diese Sprache als Muttersprache gesprochen wird, (in der Regel das Heimatland des betreffenden Elternteils). Daraus folgt, daß der assymetrische Bilingualist die betreffende Sprache offensichtlich ungünstigsten Falls als Ideolokt des entsprechenden Elternteils erlernt hat, nicht aber in der allgemeinen Form, wie sie nur von einer hinreichend zahlreichen Sprechergemeinschaft gepflegt werden kann. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, daß auch Bilingualisten sprachliche Stärken und Schwächen haben, wie Monolingualisten auch. Probleme bei der Untersuchung von Bilingualismus ergeben sich regelmäßig dann, wenn unbewußt für Bilingualisten viel strengere Maßstäbe angelegt werden als für Monolingualisten, zumal wenn das bewußte Ziel der Untersuchung der Nachweis sein soll, daß Bilingualität nachteilig sei. Obschohn diese Unterscheidung überholt zu sein scheint, da sie zu stark vereinfacht, soll sie dennoch nicht übergangen werden, zum einen weil sie mal sehr einflußreich war, aber besonders weil diese Konzepte sich einiger sehr wichtiger Charakteristika des Bilingualismus annehmen: Sie stellen gewissermaßen die richtigen Fragen, obgleich die Antworten falsch sind. Mit kombiniertem Bilingualismus ist gemeint, da� die einander entsprechende Ausdrücke oder sprachliche Zeichen der beiden Sprachen mit demselben Begriff oder Konzept verknüpft seien. Mit koordiniertem Bilingualismus ist gemeint, daß einander entsprechenden Ausdrücke oder sprachliche Zeichen mit unterschiedlichen Begriffen oder Konzepten verknüpft seien, d.h. beide Sprachen würden separat verarbeitet. Diese Unterscheidung wurde ursprünglich vorgenommen um Unterschieden in der kognitiven Organisation in bilibgualen Individuen Rechnung zu tragen. Leider jedoch gibt es praktisch keinen Bespielfall für entweder einen rein kombinierten noch für einen rein koordinierten Bilingualisten, weil einerseits keine zwei natürlichen Sprachen konzeptuell so disjunkt sind, daß sich keinerlei Gemeinsamkeiten fänden, andererseits keine zwei natürlichen Sprachen konzeptuell so kongruent sind, daß nicht zahlreiche Unterschiede auszumachen wären. Enkulturiertheit ist eine ganz erhebliche Komponente. Wenn man grammatische oder lexikalische Fehler macht, denken die Leute, mach spreche schlecht. Macht man dagegen kulturelle Fehler, so denken sie, man benehme sich schlecht; jemendem, der die Sprache eines Kulturkreises fehlerlos beherrscht, wird unwilkürlich unterstellt, er sei auch mit den Gepflogenheiten hinreichend vertraut.
Eine dem Kinde fremde Kultur kann anfänglich dessen Spracherwerb hemmen. Oder um den Leitgedanken "Bereitschaft und Gelegenheit" wieder aufzugreifen: Die Gelegenheit ist zwar da, die Bereitschaft jedoch zunächst deswegen nicht, weil die Sprache zunächst zusammen mit der fremden Kultur abgelehnt wird. Kinder können ihren Unmut jedoch wesentlich schneller überwinden als erwachsene, wenn sie beispielsweise mit anderen Kindern spielen oder eine Schule besuchen. Spätestens wenn das Kind einen Freundeskreis aufgebaut hat, steht der Eingliederung in die andere Kultur nichts mehr im Wege. Diesem Teil soll unser Hauptaugenmerk gelten. Die Frage, die uns dabei ständig begleiten sollte, ist: Worin unterscheidet sich die Entwicklung eines zweisprachigen von der eines einsprachigen Kindes? Das meisten Erkenntnisse über Spracherwerb, wurden aus Fallstudien gewonnen oder von Linguisten-Eltern, welche ihre eigenen Kinder beobachteten. Durch zunehmende Verwendung von Bild- und Tonaufzeichnungsger�ten, kommt zunehmend Material zustande, welches auch strengen wissenschaftlichen Kriterien genügt. Kurz gesagt: Kindern, die gleichzeitig "zwei Sprachen als Erstsprache" erlernen, geht es grundsätzlich nicht anders als Kindern, die nur eine Sprache in dieser Zeit lernen. Der Notwendigkeit zweisprachiger Kinder, zwischen ihren Sprachen unterscheiden lernen zu müssen, trifft einsprachige Kinder in vergleichbarer Weise: Auch einsprachige Kinder müssen lernen, zwischen mehreren Registern zu unterscheiden; mit einem Fremden spricht man anders als mit einem Bekannten, mit Erwachsenen anders als mit anderen Kinden, usw. Geringfügige Unterschiede können ausgemacht werden, je nachdem, ob Mutter-, Vater- oder Kontextsprache gleich sind. Allerdings lassen sich diese Unterschiede auch wieder auf das Grundprinzip "Bereitschaft und Gelegenheit" zurückführen. Soll heißen: Unterschiede können entstehen, weil zum einen je nach Konstellation die Bereitschaft des Kindes eine andere sein kann, viel mehr noch die Gelegenheit des Kindes, seine Sprachekompetenz im Kontakt mit anderen auszubilden. Zwar berichten Eltern von zweisprachigen Kindern immer wieder, diese hätten später sprechen gelernt, konkrete Zahlen, sofern verfügbar, scheinen jedoch zu belegen, daß der Unterschied zu einsprachigen Kindern gering ist, bzw. wie wir an anderer Stelle bereits gelernt haben, geringer als der Unterschied zwischen Mädchen und Buben. Eine mögliche Erklärung für die Fehleinschätzung der Eltern könnte in deren Ungeduld zu finden sein. Wie wir ebenfalls bereits gelernt haben, werden zweisprachige Kinder hinsichtlich ihrer sprachlichen Entwicklung offensichtlich unwillkürlich kritischer beurteilt als einsprachige Kinder, jedenfalls in Europa, wo Bilingualität nach wie vor die Ausnahme ist und daher noch sehr mißtrauisch wahrgenommen wird. Es darin gibt zwei Glaubensrichtungen. Die einen glauben, Kinder, die Bilingualität simultan erwerben, vermischten die beiden sprachen zunächst zu einer Kombisprache und entmischten sie erst in Folge ihrer sprachlichen Entwicklung, die anderen glauben, daß jene Kinder gleich von Anfang an ihre Sprachen separiert erlernten. Für diese für Psychologen überaus interessante Frage ließe sich jedoch nur aufgrund umfangreicher statistischer Erhebungen Tendenzen ermitteln. Studien scheinen jedoch bereits zu belegen, daß Bei diesen Kindern können drei Phasen der sprachlichen Entwicklung hinsichtlich der "Sprchtrennung" unterschieden werden: Schließlich dürfen wir nicht vergessen, daß ein Kind, welches mischt, dies nicht notwendigerweise tut, "weil es nicht klarkommt"; es mag auch schlicht der Fall sein, daß das Kind über eine Bestimmte Vokabel eben nur in der anderen Sprache verfügt.
Ungefähr ab dem Alter, wenn Kinder beginnen zu übersetzen, scheinen sie auch ein Bewußtsein dafür zu entwickeln, zwei Sprachen zu sprechen. Dabei werden die Sprachen Personen zugeordnet: die eine Sprache dem Vater, die andere der Mutter und gegebenenfalls die des Kindergartens der Kindergartentante. Der abrupte Wechsel von einer Sprache in die andere wirkt für nicht zweisprachige sowohl verwirrt als auch verwirrend. Es ist dies jedoch die bewußte oder auch unbewußte Ausnutzung einer Möglichkeit, die sich aus Bilingualität ergibt, nämlich Emphase. Und nichts anderes ist dies als, wenn beispielsweise ein einsprachiger Deutscher plötzlich in seine Mundart verfällt, weil er plötzlich von seinen Gefühlen überweltigt wird. Übersetzen scheint ein angeborenes Bedürfnis zu sein. Zweisprachige Kinder beginnen damit, sobald sie in der Lage sind ihre Sprachen unabhängig voneinander zu benutzen. Oft sind es die Kinder von Immigranten, die ihren Eltern helfen, mit den eingesessenen zu kommunizieren. Recht bald bemerken diese Kinder, welche Macht sie dadurch haben. In einem Beispielfall verlangt ein italienischer Einwanderer von seiner Tochter, eine Beleidigung zu übersetzen; diese übersetzt jedoch äußerst diplomatisch, um ihren Vater dadurch vor unangenehmen Konsequenzen zu schützen. In einem anderen Beispielfall berichtet eine Lehrerin, daß sie sich gezwungen gesehen habe, Arabisch zu lernen, weil die Eltern der Kinder, mit denen sie ein ernstes Wort zu reden hatte, in der Regel nicht die Reaktionen zeigten, die zu erwarten gewesen wären, nachdem die Kinder ihre mahnenden Worte "übersetzt" hatten.
Auch hier gilt jedoch die Einschränkung, daß Fertigkeiten unterschiedlich verteilt sind: Manche Menschen können besser übersetzen als andere. Zudem spielt eine Rolle, ob spezielle Vokabular erforderlich ist, welches – wie wir bereits gesehen haben – nicht selten nur in einer der beiden Sprachen aktiviert werden kann. Schließlich spielen außersprachliche Faktoren eine Rolle, wie das Alter, die persönliche Erfahrung, die Persönlichkeit des Kindes und die spezifische Situation, sowie die Beziehungen zwischen den Aktanden. Kinder können prinzipiell in jedem Lebensalter Bi- oder Multilingualität erwerben durch Hinzulernen einer weiteren Sprache. Es ist sogar die verbreitetste Form der Mehrsprachigkeit die sukzessive. Bedingt ist dies meist durch den Umzug der Eltern, die in zunehmendem Maße der Arbeit hinterherreisen. Eine ebenfalls häufig ursächlich ist es, wenn die Eltern eine Sprache sprechen, welche nicht dem Standart des Umfeldes entspricht, weil sie zugereist sind oder einer sprachlichen Miderheit angehören; diese Kinder lernen zunächst die Sprache der Eltern und später im Kindergarten oder in der Schule erst die offizielle Sprache.
Einer weitverbreiteten Überzeugung zu folge läßt die Fähigkeit eine weitere Sprache zu erlernen mit dem Alter stetig ab. Diese Einschätzung beruht im Wesentlichen auf einer unkritischen Beobachtung kindlichen Spracherlernens. Kinder verwenden viel Zeit und Mühe darauf Sprache zu erlernen; sobald Erwachsene den gleichen Aufwand treiben, scheinen sie, von der Aussprache abgesehen, vergleichbare Erfolge zu erzielen. Erwachsene können sogar effizienter weil systematischer und zielgerichteter lernen.
Auch wenn diese Strategien nicht unmittelbar zum Verständnis beitragen, so zeigen sie doch deutlich, wie wichtig es für Kinder ist, soziale Kontakte zu knüpfen, und für Eltern in derselben Geschwindigkeit die neue Sprache zu erlernen. Erwachsene finden sich wesentlich häufiger in Situationen wieder, in denen es unmöglich ist, so zu tun als ob, bzw. die Details für später aufzuheben. Wenn Sprachelernen für Kinder manchmal schwer ist, so ist es für Erwachsene manchmal die Hölle. McLaughlin schreibt 1978 in seinem Buch "Second Language Acquisition in Childhood" sinngemäß, daß bis dato keine allgemein formulierte Arbeitshypothese über die Auswirkungen von Bilingualismus durch Forschungsergebnisse bestätigt werden konnte: Weder positive noch negative Effekte von Bilingualismus konnten gezeigt werden in Bezug auf die Intelligenz, Sprachfähigkeit, Erziehbarkeit (educational attainment), emotionale Ausgeglichenheit (emotional adjustment) oder kognitive Funktionalität eines Menschen. Fast immer ist es so, daß die gefundenen Erkenntnisse verschiedener Forscher einander widersprechen oder aber methodologisch derart fragwürdig zustande kamen, daß nicht wirklich mit ihnen zu rechen ist. Ein Kollege Namens Saer wollte 1923 anhand von Tests, die er mit walisisch/englisch-sprachigen Kindern aus ländlichen Gegenden durchgeführt hatte, herausgefunden haben, daß nicht nur deren IQ geringer sei, er nehme zudem im Vergleich zu gleichaltrigen einsprachigen Kindern in den Lebensjahren zwischen sieben und elf noch stetig ab. Andere Studien schienen dies zu bestätigen. Es stellte sich jedoch heraus, daß sowohl der sozioökonomische Hintergrund völlig vernachlässigt worden war – Wenn er berücksichtigt wurde, verschwand die zuvor beobachtete Diskrepanz! – als auch die Tatsache, daß Bilingualität relativ ausgeprägt ist und wie selbstverständlich immer auf Englisch getestet wurde. Über die weitere Entwicklung der Bilingualismusforschung hinblicklich solcher mutmaßlichen Effekte läßt sich zusammenfassen sagen: In dem Maße, in dem die Methoden verbessert wurden, verblaßten auch die Unterschiede, die man anfangs so deutlich sehen zu können geglaubt hatte. Quelle: E.Harding-Esch/P.Riley, "the bilingual family" (2.Aufl.), Cambridge University Press, Cambridge 2003 [ INDEX| Lesezeichen| home | PvdL | GAU ] |